Rezension zu "Die Spur der Vertrauten" von Christelle Dabos

Inhalt (Klappentext) 

Goliath bleiben nur noch wenige Wochen, um das Leben eines anderen Menschen zu retten und damit ein «Tugendhafter» zu werden. Claire steht vor ihrem Abschluss an der Schule der Vertrauten. Claire weiß, was sie riskiert, wenn sie von diesem Weg abkommt. Doch dann verschwindet ein Schüler und niemand außer Claire scheint es zu bemerken. Wie soll man im Schatten bleiben, während man ermittelt?
Claire und Goliath tun sich zusammen, um den Vermisstenfällen in ihrem Sektor auf den Grund zu gehen. Doch der Fall ist viel größer, als sie sich beide vorstellen können. Und dann beschäftigt Claire noch ein ganz anderes Geheimnis - eines, das sie in Lebensgefahr bringen könnte ...

Meine Meinung

Der Schreibstil der Autorin konnte mich bereits in ihrer "Die Spiegelreisende"-Reihe begeistern. In "Die Spur der Vertrauten" beweist Christelle Dabos, wie wandelbar ihr Schreibstil ist. Es gelingt ihr, den Schreibstil situationsbedingt je nach Charakter zu wandeln und ein einzigartiges Leseerlebnis zu schaffen. Die Geschichte wird aus mehreren wechselnden Perspektiven erzählt, wobei Claire und Goliath die Hauptcharaktere sind und demnach die meiste Erzählzeit einnehmen. 

Christelle Dabos ist eine Meisterin darin, originelle und komplexe Welten zu erschaffen. Ich habe zuvor noch nie ein solches Konzept einer Dystopie gelesen: Jeder Mensch hat einen Instinkt, der ihn zwingt, gewisse Handlungen auszuführen, alles im Namen des "Wir". Denn jeder Mensch stellt seit jeher lediglich ein Rädchen im Getriebe der gesamten Menschheit, des alles kontrollierenden "Wir" dar. Alles überwacht von der instinktiven Verwaltung – den Heiligen und Erhabenen. Jeglicher Anflug von Individualität wird geächtet und von der instinktiven Verwaltung verfolgt.

Die Atmosphäre der Welt ist niederdrückend und geradezu farblos. Es scheint als wären die Menschen dennoch glücklich dem "Wir" zu dienen und ihren Instinkt auszuüben, wenn auch es nicht ihrem Willen entspricht. Schließlich dient alles dem Gemeinwohl. Und doch offenbaren sich mit jedem Kapitel neue Schattenseiten und Instinkte, die ein erträgliches Leben nahezu unmöglich machen – und immer lauter werdende Stimmen des Widerstands.

Die Geschichte nahm einen unerwarteten Lauf, der mich positiv überrascht hat. Schon auf den ersten Seiten – wie auch im Klappentext – erfahren wir, dass die Protagonisten Goliath und Claire sich zusammenschließen, um nach vermissten (entführten?) Personen zu suchen. Claire, weil sie die Fälle einfach nicht loslassen. Goliath, weil er nur noch ein gerettetes Leben benötigt, um in den Rang des Heiligen aufzusteigen. Doch gerade als wir uns der Auflösung der Vermisstenfälle nähern, wird deutlich, dass dies erst die Tür zu etwas Größerem darstellt.

Die Protagonisten könnte kaum unterschiedlicher sein. Claire ist eine Vertraute. Der Instinkt zwingt Menschen dazu, so lange zuzuhören bis der Sprechende aufhört. Das Leben der Vertrauten ist einsam, denn jede Konversation birgt das Risiko eines Instinktmissbrauchs. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Musterschülerin. Sie ist stets darauf bedacht nicht aufzufallen – denn würde jemand genauer hinsehen, könnte er erkennen, dass Claire nie wirklich dazu gehört. Ein Geheimnis, dass sie ihr gesamtes Leben lang begleitet.
Goliath hingegen ist fest entschlossen, sich zu beweisen und zum Heiligen aufzusteigen. Als Schützer befiehlt ihm sein Instinkt, Menschen vor Übel jeglicher Art zu bewahren. Er selbst ist dabei gerne bereit, seinem Instinkt ein wenig nachzuhelfen, indem er sich in jede noch so entfernte Gefahr stürzt, was ihn bereits seine beiden Arme gekostet hat. 
Claire und Goliath sind Gegensätze, die sich mit dem Verlauf der Geschichte immer weiter annähern. Goliath glaubt an das "Wir" und die instinktive Verwaltung. Seine Charakterentwicklung ist in meinen Augen essentiell für die Geschichte und die Botschaft, die die Autorin vermitteln möchte. Sein Charakter steht parallel zum bröckelnden System des "Wir".

Es gab einige Elemente und Ereignisse in der Geschichte, die an sich brutal waren, die jedoch teils mit klinischer Distanziertheit erzählt wurden. Die Autorin hat dies bewusst eingesetzt, abhängig von dem jeweiligen Charakter, aus dessen Perspektive erzählt wurde. Je weiter sich die Geschichte entwickelte, desto mehr werden dem Leser die Augen für die Kontrolle des "Wir" geöffnet. 

Das Ende war ganz anders als alles, was ich mir vorgestellt hatte. Chaotisch trifft es recht gut und doch hatte jeder Aspekt eine Bedeutung in der Geschichte.

Fazit

Christelle Dabos konnte mich aufs Neue mit einer ihrer Geschichten begeistern. Das Buch wurde zunehmend spannender bis ich mich irgendwann kaum noch davon losreißen konnte. Dennoch würde ich es nicht als "leichte Kost" bezeichnen. Die Geschichte hatte einen Tiefgang und eine Komplexität, die man nicht häufig in Jugendbüchern findet. Ich kann es sowohl für jüngere Leser (Verlagsempfehlung: ab 14 Jahren) wie auch ältere empfehlen. 

Bewertung

4 bis 4, 5 von 5 Sternen


Vielen Dank an den Rotfuchs Verlag und Lovelybooks für das Rezensionsexemplar! 

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